Mythen über die „Probleme“ des NHS werden entlarvt

Die öffentliche Debatte über den National Health Service (NHS) ist oft geprägt von sich wiederholenden Vorstellungen, die trotz ihrer Popularität kaum durch internationale Daten oder Belege gestützt werden. Die ständige Wiederholung dieser Vorstellungen lässt sie letztlich selbst für politische Entscheidungsträger und Gesetzgeber als wahr erscheinen. Dieser Artikel versucht, drei wiederkehrende Mythen zu entlarven und aufzuzeigen, wie sie die Realität verzerren und eine effektive Politikgestaltung behindern.
Um die Verfügbarkeit von Ärzten zu analysieren, reicht es nicht aus, lediglich die Gesamtzahl zu betrachten, da diese wenig über den tatsächlichen Bedarf des NHS aussagt. Es ist entscheidend, die Verteilung nach Fachgebiet und geografischem Gebiet zu betrachten. Es stimmt, dass Portugal eine Gesamtzahl von Ärzten pro Kopf hat, die über dem OECD-Durchschnitt liegt (5,8 Ärzte pro 1.000 Einwohner gegenüber dem OECD-Durchschnitt von 3,5). Diese Statistik verdeckt jedoch gravierende Ungleichgewichte. Es gibt ernsthafte Engpässe in wesentlichen Fachgebieten, die übersehen werden, wenn wir nur die Gesamtzahl betrachten. Beispielsweise kann ein Mangel an Anästhesisten alle Operationen blockieren, selbst wenn kein Mangel an Chirurgen herrscht. Dasselbe lässt sich für die geografische Verteilung sagen. Ein aktueller Bericht von PlanAPP hebt die enormen Asymmetrien zwischen den Regionen hervor und macht deutlich, dass es wenig Sinn macht, für ein bestimmtes Fachgebiet eine angemessene nationale Quote festzulegen, wenn alle diese Ärzte dann in zwei oder drei Regionen des Landes konzentriert sind.
Darüber hinaus ist ein reiner Vergleich der Gesamtzahlen mit anderen Ländern irreführend, da die Aufgabenverteilung in anderen Kontexten von der in Portugal abweicht. In mehreren OECD-Ländern führen Pflegekräfte Sprechstunden durch, verschreiben Medikamente und führen fortgeschrittene Verfahren durch; Physiotherapeuten und Psychologen führen Erstgespräche ohne vorherige Konsultation eines Arztes durch; und Apotheker kümmern sich direkt um akute Erkrankungen, wodurch die Notaufnahmen der Krankenhäuser entlastet werden. Es sei darauf hingewiesen, dass Pflegekräfte in vielen Ländern mit fortgeschrittenen Aufgaben bis zu 80 % der Fälle in der Primärversorgung behandeln können, was die Belastung der Ärzte drastisch reduziert.
Da Ärzte in Portugal an praktisch allen klinischen Verfahren und Prozeduren beteiligt sind, selbst an den einfachsten und wertschöpfendsten, ist es ganz natürlich, dass ein echter Ärztemangel herrscht.
Kurz gesagt: Wir müssen die Aufschlüsselung nach Fachgebieten/Unterfachgebieten betrachten, nicht die Gesamtzahl der Ärzte. Ein direkter Vergleich unserer Ärztequote mit anderen OECD-Ländern ist nicht möglich, da in Portugal Ärzte immer noch Aufgaben übernehmen, die in anderen Ländern bereits an andere Fachkräfte delegiert wurden.
2 „Das Problem ist nicht das Geld, sondern die Organisation/das Management“Entgegen der landläufigen Meinung hat der NHS ein Finanzierungsproblem. Dieses Problem besteht seit langem und bleibt auch bei steigenden Gesundheitsbudgets bestehen.
Portugiesische Krankenhäuser und lokale Gesundheitseinrichtungen (ULS) erleiden aufgrund ihrer strukturellen Unterfinanzierung ständig Verluste. Sie erhalten durchschnittliche Zahlungen pro Patient von rund 1.000 Euro pro Jahr, berechnet auf Grundlage alter NHS-Rechnungen (von vor zwei bis drei Jahren). Der Staat berücksichtigt dabei weder die jährlich eingeführten neuen Technologien noch die zusätzlich erforderlichen Investitionen. Wenn eine ULS also ein neues Medikament oder Gerät, wie beispielsweise ein MRT, kauft, weiß sie, dass es sie mehr Geld kosten wird, da die Aufsichtsbehörden in der Regel keine spezifischen Mittel dafür bereitstellen.
Entgegen der landläufigen Meinung gibt es keinen echten Erstattungsmechanismus für entstandene Kosten. Krankenhäuser werden nicht auf Basis ihrer tatsächlichen Ausgaben entschädigt, sondern auf Basis vorab festgelegter Durchschnittswerte, die in der Regel 10 bis 20 % unter den tatsächlichen Durchschnittskosten pro Patient in jedem Krankenhaus oder ULS liegen.
Darüber hinaus war das Investitionsniveau im NHS recht niedrig; die durchschnittliche Ausführungsrate lag bei knapp 50 % der ursprünglichen Haushaltsprognose. So wurde beispielsweise zwischen 2016 und 2022 weniger als die Hälfte der geplanten jährlichen Investitionen tatsächlich getätigt. Diese strukturelle Unterfinanzierung schränkt die Kapazitäten des NHS für technologische und infrastrukturelle Erneuerungen ein.
Es stimmt zwar, dass es auch organisatorische Probleme gibt, die größtenteils auf politische Entscheidungen aufeinanderfolgender Regierungen zurückzuführen sind, wie etwa die fehlende Überprüfung der Karrierewege in der Krankenhausverwaltung oder die fehlende Ernennung von Führungskräften nach politischen Kriterien. Dies sollte uns jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass es kein finanzielles Problem gibt. Es existiert, und es hat sich in den letzten Jahren nicht verbessert.
Die Behauptung, das NHS-Budget habe sich verdoppelt, ohne dass diese Erhöhung zu Ergebnissen geführt habe, ignoriert grundlegende Aspekte. Obwohl das nominale Budget des NHS gestiegen ist, ist sein relativer Anteil am BIP und am gesamten Staatshaushalt nicht gestiegen. Der Anteil des NHS am BIP bleibt stabil bei etwa 6,5 Prozent und liegt damit unter dem EU-Durchschnitt (7,5 Prozent). Die Gesundheitsausgaben pro Kopf in Portugal (2.814 Euro) liegen weiterhin unter dem europäischen Durchschnitt (3.533 Euro) und deutlich unter denen Deutschlands (5.317 Euro).
Trotz dieser erheblichen Unterschiede glänzt Portugal durch herausragende Gesundheitsergebnisse. Der OECD-Bericht „Health at a Glance 2024“ hebt die Leistung des NHS hervor und zählt ihn in vielen wichtigen Bereichen zu den besten in Europa. So liegt die Lebenserwartung bei der Geburt in Portugal beispielsweise über dem EU-Durchschnitt (81,7 Jahre im Jahr 2022, etwa ein Jahr über dem Durchschnitt). Auch die vermeidbaren und behandelbaren Sterberaten gehören zu den niedrigsten: Im Jahr 2020 lag die Sterblichkeit aus vermeidbaren Ursachen 19 % unter dem europäischen Durchschnitt, die Sterblichkeit aus behandelbaren Ursachen 14 % niedriger. Die portugiesische Kindersterblichkeit gehört zu den niedrigsten weltweit (etwa 2,4 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten). Darüber hinaus ist die Durchimpfungsrate bei Kindern nahezu flächendeckend (bei Masern erreicht sie etwa 95 %, eine der höchsten jemals registrierten Raten). Bemerkenswert sind auch die hohen 5-Jahres-Überlebensraten bei den wichtigsten Krebsarten, die alle über dem EU-Durchschnitt liegen. Und schließlich weist Portugal eine der niedrigsten Raten vermeidbarer Krankenhausaufenthalte aufgrund chronischer Krankheiten in Europa auf, was die Wirksamkeit des primären Gesundheitssystems des NHS unterstreicht.
Es ist auch wichtig zu beachten, dass es ganz natürlich und sogar zu erwarten ist, dass im Gesundheitswesen die Produktivität nicht mit den Kosten Schritt hält. Dieses ökonomische Phänomen, bekannt als „Baumol-Krankheit“, basiert auf der Annahme, dass sich in Sektoren wie Bildung und Gesundheitswesen die Produktivität nicht ohne Weiteres durch Technologie oder Automatisierung steigern lässt, obwohl die Gehälter der Fachkräfte mit den Zuwächsen in anderen Sektoren Schritt halten. So steigen beispielsweise die Gehälter der Ärzte parallel zu den Neuerungen im öffentlichen Dienst, doch die Dauer eines Arzttermins bleibt nahezu gleich wie 1925. Wir haben die Gehälter erhöht, aber die Produktivität bei Konsultationen hat sich kaum verändert (wie normal und zu erwarten).
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass sich Gesundheitsergebnisse nicht allein auf die Produktivität beschränken – also auf die Anzahl der Konsultationen, Operationen oder anderer Eingriffe pro Behandlungsdauer. Natürlich ist Produktivität wichtig, da sie maßgeblich den Zugang zu Dienstleistungen bestimmt, aber es gibt andere grundlegende Indikatoren, die wir nicht ausreichend messen. Beispielsweise erhalten Krebspatienten heute genauso viele Behandlungen und Konsultationen wie früher, leben aber dank besserer Medikamente und fortschrittlicherer Technologien viel länger, wenn nicht sogar Jahrzehnte. In diesem Fall geben wir mehr Geld aus, die scheinbare Produktivität bleibt gemessen an der Anzahl der Eingriffe stabil, und folglich könnte es den Anschein erwecken, als würden wir schlechter abschneiden. Ist das wirklich so? Sind die erzielten klinischen Ergebnisse nicht letztlich das Wichtigste?
Schließlich ist es wichtig zu beachten, dass der NHS seine Aktivitäten und Leistungen jedes Jahr steigert, die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen jedoch aufgrund von Faktoren wie der alternden Bevölkerung, höheren Gesundheitserwartungen und dem Bevölkerungswachstum durch Einwanderung noch schneller wächst. Wenn der NHS seine Leistungen jährlich um 10 % steigert, die Nachfrage aber plötzlich um 20 % steigt, ist es dann legitim zu behaupten, der mangelnde Zugang sei auf NHS-Versagen zurückzuführen?
4 FazitDas sogenannte „Paradoxon“ zwischen der Budgeterhöhung und der Krise im NHS ist nur scheinbar. Die höheren Ausgaben waren unerlässlich, um die Leistungen in einem besonders anspruchsvollen Umfeld aufrechtzuerhalten – und in einigen Bereichen sogar zu verbessern: die Wiedereinführung zuvor eingefrorener Löhne, die steigenden Kosten für Medikamente und Gesundheitstechnologien sowie der wachsende Druck durch die alternde Bevölkerung und die deutlich gestiegene Zahl der Nutzer, auch durch Einwanderung.
Die Behauptung, die Ergebnisse hätten sich nicht verbessert, ignoriert eine grundlegende Tatsache: Ohne die Haushaltserhöhungen der letzten Jahre hätten sich die Ergebnisse höchstwahrscheinlich verschlechtert. In einem Sektor, in dem die Produktivität langsam wächst, ist die Aufrechterhaltung von Zugang und Qualität an sich schon ein relativer Erfolg. Dennoch gibt es Verbesserungen, die nicht ignoriert werden können – wie die gestiegene Lebenserwartung nach dem 65. Lebensjahr, höhere Überlebensraten bei Krankheiten wie Krebs und Schlaganfall sowie die Beibehaltung guter Effizienzindikatoren, selbst bei einer Finanzierung unter dem europäischen Durchschnitt.
Viele der heute sichtbaren Probleme – wie die gelegentliche Schließung von Einrichtungen oder lange Wartezeiten in bestimmten Fachbereichen – sind nicht das Ergebnis übermäßiger Ausgaben oder Misswirtschaft, sondern vielmehr einer jahrelangen Unterfinanzierung und chronischen Aufschiebung von Investitionen und Strukturreformen, auch im Bereich des Personalmanagements.
Eine Verdoppelung des Budgets bedeutet also nicht und kann auch nicht eine Verdoppelung der Gesundheitsversorgung bedeuten. Vielmehr bedeutet sie, sicherzustellen, dass der NHS trotz zunehmender Komplexität und Nachfrage weiterhin qualitativ hochwertig und universell funktioniert. Daher ist es notwendig, vereinfachende Diagnosen aufzugeben und auf der Grundlage von Daten und Beweisen anzuerkennen, dass die wahren Herausforderungen des NHS nachhaltige, strukturell fundierte und politisch mutige Lösungen erfordern. Nur dann kann ein robuster, effektiver NHS gewährleistet werden, der die portugiesische Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten versorgen kann.
observador